Mittlerweile sind Nicole Jäger und ich in unserer Region als Förster-Jäger-Duo bekannt – ein verrücktes Laufteam, dem immer wieder neue Ziele einfallen und gelingen.
Zäher Start
Bei den Bundesjugendspielen schaffte ich – außer einer einzigen Ehrenurkunde – immer nur die für die Teilnahme, also sozusagen nichts. Beim Schlagball-Weitwurf waren sogar die Mädchen besser als
ich. Die Sprints über 50, 75 oder 100 Meter waren viel zu kurz für mich. Aber sobald es darum ging, auf der längsten Schüler-Distanz Meter zu machen, war ich in meinem Element und unschlagbar!
Lauf, Forrest lauf! Die Weichen für den Ausdauersport waren gestellt!
1984 trat ich der Betriebssportgruppe der Straßenbahn Herne–Castrop-Rauxel bei. Meistens nahmen wir an 10-Kilometer-Volksläufen teil und liefen gelegentliche Wertungsläufe der BSG über 25
Kilometer. Halbmarathon gab es damals noch nicht.
Flotte Marathons
1987 habe ich dann als Busfahrer angefangen. Im gleichen Jahr lief ich in Berlin meinen ersten Marathon, ohne groß dafür trainiert zu haben, in 3:37 Std. Zu dieser Zeit gab es eigentlich nur die
Stadtmarathons in Berlin, Bremen, Hamburg, Essen Baldeneysee und im Hochschwarzwald.
Im Jahr danach wurde ich Dritter bei der Vereinsmeisterschaft. Daraufhin sagte ich mir: Im nächsten Jahr werde ich Vereinsmeister mit allen Streckenrekorden, was mir tatsächlich gelang. In
Hamburg bei 30 Grad lief ich 2:53 Std., Berlin und Wien folgten in 2:54 Std. Es war eine Zeit, in der eine Brutto-Netto-Zeitmessung per Championchip ebenso unbekannt war wie Energiegels oder
Funktionswäsche. Auch Kompressionsstrümpfe trug man damals nur im Krankenhaus und nicht im Ausdauersport!
Ende 1988 wurde ich noch BSG-Meister Nordrhein-Westfalen, weil ich alle vier Wertungsläufe gewann.
Ich bin die folgenden Jahre noch ein paar Marathons gelaufen, so auch 1990 den legendären Einheitsmarathon. Und ich lief meinen ersten 50-Km-Ultra in 4 Std.
Effizienter trainieren mit unseren Lauf-Büchern
Comeback mit Nicole Jäger
Danach wurde es ruhig um mich. Bis ich 2003 Nicole traf und kennen lernte. 2004 gab ich mein Comeback in Köln, indem ich Nicole auf ihrem ersten Marathon begleitete. Nicole lief genau bis
Kilometer 42 und blieb dann mitten auf der Deutzer Brücke stehen: „Ich kann nicht mehr.“ Ich sagte: „Nur noch 195 Meter! Du kannst das Ziel schon sehen, jetzt beweg deinen Hintern diese verdammte
Brücke hinunter, und du gehörst zur Familie der Marathonis.“ Wäre sie nicht stehen geblieben, hätte sie ihren ersten Marathon unter vier Stunden geschafft. So wurden es sehr gute 4:01 Std.
Was dann passierte, war für mich neu. Nicole hatte so starke Emotionen, dass sie vor Glück weinte. Sie fiel der Medaillen-Frau schluchzend um den Hals und wollte sie einfach nicht mehr loslassen.
Unter der Erde
Uns hatte das Lauffieber gepackt. Dann las ich in einer Laufzeitschrift vom Unter-Tage-Marathon in Sondershausen. In der Ausschreibung stand, dass die extremen Bedingungen 700 Meter unter Tage
bei 25 Grad und nur 30 Prozent Luftfeuchtigkeit von den Aktiven höchste physische und psychische Leistungen fordern. Nur sehr gut trainierte Läufer sollten sich dieser knallharten Marathonstrecke
stellen.
Ich dachte, da sind wir dabei. Nicole sagte auch sofort zu. Draußen Schneetreiben und da unten 25 Grad. Alles schön beleuchtet, so standen wir am Start – dachten wir! Es war aber nur der
Vorstart. Mit einem Gong ging es los: 500 Meter links steil berauf in die Dunkelheit bis zum eigentlichen Start! Das ging schon ganz schön in die Beine. Und wir wussten annähernd was uns
erwartete. Mit Radhelm, Stirnlampe und MP3-Player auf volle Pulle stürmte Nicole los. Ich sagte zu ihr: Dreh dich nicht um, ich bin hinter dir. Als ich irgendwann bei einer Versorgungsstelle nach
einem Becher griff, stürzte ich auf der glatten Salzbahn. Ich rief Nicole noch zu, sie solle kurz warten, aber sie hörte mich nicht: Ihre Musik war zu laut!
Na ja, ok, dachte ich mir, humple ich eben allein weiter. Aber dass sie sich zwei Stunden lang nicht umdrehte und im Ziel vor der Kamera sagte: Der Udo kommt nicht mehr, hätte ich dann doch nicht
gedacht!
Nicole liebt „Unter Tage“. Für mich ist es der Vorhof zur Hölle. Aber egal, 2010 sind wir zum siebten Mal dabei, und Nicole feiert an diesem Tag ihren 40. Geburtstag!
Jetzt geht’s richtig los
Der Drang nach dem Extrem war geweckt. Ein Jahr später liefen wir den schönsten Marathon der Welt: den Jungfrau-Marathon in der Schweiz. Das Dreigestirn Eiger-Mönch-Jungfrau mit dem riesigen
Gletscher sind das Highlight. Leider war bei uns der Nebel so dicht, dass man die Hand vor Augen kaum sehen konnte – von der Landschaft ganz zu schweigen. Die letzten Kilometer geht es auf der
Moräne steil bergauf. So schmal, dass man nicht überholen kann. Ein Stau wie am Kamener Kreuz in der Rushhour! Und da legte ein anderer Läufer von hinten bei Nicole Hand an, um sie hoch zu
schieben. Na, der konnte was erleben!
Jetzt hatten wir einen Unter-Tage- und einen Gebirgsmarathon geschafft. Es folgte der Insel-Marathon auf Helgoland. Dort traten wir in Kontakt mit Hajo Meyer und Sigrid Eichner vom
100-Marathon-Club. Beide haben schon über 1.500 Marathons oder Ultraläufe gemacht. Wir waren voller Respekt, begeistert – und wollen selbst auch mindestens 100 schaffen. So traten wir dem Club
als Anwärter bei.
Damit war klar, dass wir den Elbtunnel-Marathon laufen würden, der vom Club veranstaltet wird. 48 Runden Kacheln zählen. Röhre rauf und wieder runter. Es heißt, man soll die Runden selbst
mitzählen und eine mehr zur Sicherheit laufen, da die EDV wegen der Feuchtigkeit zeitweise aussetze. Aber wie?! Ich entschied mich für die 48-Erbsen-Taktik: jede Runde eine Erbse wegwerfen.
Leider wusste ich irgendwann nicht mehr, ob ich auch wirklich nach jeder Runde eine Erbse weggeworfen hatte. Aber das war mein kleinstes Problem! Denn ein verschwitzter Läufer berührte Nicole,
und das kann sie ja gar nicht leiden, wie wir vom Jungfrau-Marathon noch wissen. Zu allem Überfluss lief er dann noch vor ihren Füßen her. Ich brachte mich erst mal aus der Schusslinie. Nur so
viel: Das macht der nie wieder in seinem Leben!
Immer höher hinaus
Auf der Suche nach neuen Herausforderungen starteten wir dann beim härtesten Marathon der Welt in Graubünden: 2.700 Höhenmeter. (Die erste Herausforderung war schon die Fahrt in die Schweiz!
Nicole hatte ihren Personalausweis nicht dabei, und wir mussten durch drei Grenzkontrollen.)
Es hieß, beim Lauf ginge es auf allen Vieren durch die Schneefelder bis zum Gipfel des Rothorns! Und wie steht Nicole am Start?! ... Genau: im Sommerleibchen. Bis zur Mittelstation, bevor der
schwere Anstieg losging, war das ja auch ok. Doch genau da stellte Nicole fest: Mmh, doch ganz schön kalt hier oben am Berg! (Leider hatte sie vergessen, ihren Pullover in den Rucksack zu
packen.) Ich gab ihr dann mein Langarmtrikot! Aber in Zukunft kriegt sie vor jedem Lauf eine Liste zum Abhaken aller Dinge, die sie mitnehmen muss.
Inzwischen bin ich seit ihrer Krankheit ja eine Art Sherpa für sie. Ich habe immer einen Rucksack dabei mit Verpflegung und genug Platz für warme Wäsche. Nur wenn sie wieder mal 3 Liter Malzbier
dabei haben will, wovon sie nur ein paar Milliliter trinkt, sage ich nein.
Aber meine Freude kommt spätestens bei der Gondelfahrt zurück ins Tal! Das mag sie ja gar nicht!!
Apropos Fahrt. Wenn sie sagt: Lass uns die 500 Kilometer die Nacht durch zum Marathon fahren, heißt das: Ich fahre, sie gibt Schnarch- und andere Geräusche von sich, und wenn sie wach wird,
meckert sie, wie kalt es im Auto ist. Das Ende vom Lied: Sie steht total fit am Start, und ich bin total übermüdet!
Effizienter trainieren,
schneller werden mit TRIATHLON TOTAL
Über Brocken, bei Nacht, hinter Gittern
Wir machten dann noch einen Hunde-Marathon über den Brocken. Nur leider war der Schäferhund mit Adelstitel bereits im Anstieg fertig. Das wurde dann zur einmaligen Sache. Einen Nachtmarathon
können wir auch schon verbuchen. Genau so wie den Knast-Marathon. Bei dem Projekt laufen die Häftlinge als Abschluss einen Marathon gemeinsam mit externen Läufern. Von circa 40 Häftlingen gingen
16 an den Start. Hinter Gittern zu laufen ist durchaus etwas mulmig.
Bei solchen Aktionen kommen von Nicole Aussagen wie: „Ich laufe nicht mehr, dabei werde ich zu dünn.“ Dann gibt es auch die Wald- und Wiesenläufe, bei denen es bei Kilometer 37 Bratwurst und Bier
gibt! Wenn man nicht Bestzeit laufen will...
Inzwischen laufen wir jetzt eher Ultra, wenn er angeboten wird. So wie die 50 Kilometer Halden-Tour in Bottrop, oder die 63,7 Kilometer beim Roentgenlauf. In diesem Jahr wird zum 10. Jubiläum der
Veranstaltung der Roentgenlauf über 100 Kilometer angeboten: Um 3 Uhr Start mit Kopflampe, Trillerpfeife, Reflektoren und Wegbeschreibung. Verpflegung bei KM 21 und 42, damit man dann pünktlich
um 8.30 Uhr in das normale Laufgeschehen übergehen kann. Ich fragte Nicole: „Hast du Lust?“ Sie: „Ja, das klingt gut, da sind wir dabei!“ Das kann was geben. Nicole hat überhaupt keinen
Orientierungssinn. Also werde ich mit Streckenkarte vorneweg laufen, und mit einem Rucksack für 42 Kilometer Verpflegung auf dem Rücken!
Normalerweise läuft sie vorne weg und zieht Tempo an, wenn der Wendler auf dem MP3 spielt. Ich weiß aber immer ganz genau: Wenn sie Hunger hat bleibt sie stehen und wartet auf mich! Beim
100-Kilometer-Lauf wird sie wohl des öfteren die Trillerpfeife benutzen, wenn sie verpflegt werden will.
Es gibt drei Phasen beim Marathon: Bis KM 27 singt sie. Bei KM 32 schnauzt sie mich an: Was machen wir eigentlich hier? Und ab KM 35 singt sie wieder total laut und schräg und zieht das Tempo an,
dass sie viele der Männer alt aussehen lässt.
Um dem Rest – und vor allem dem Singen – ein wenig aus dem Weg zu gehen, ziehe ich dann das Tempo an, so dass Stille (oder Schnaufen) in den Marathon einkehrt! Wir laufen immer gemeinsam ins
Ziel. Um danach bei Mc Donald’s zu sagen: Das war mal wieder ein schöner Lauf!
Freundschaft als Ziel
Trotz aller Frotzelei hier hat Nicole so viele gute Seiten! Zwar war es nicht immer leicht für mich, sie zu motivieren, aber sie gibt trotz aller Rückschläge nicht auf und kämpft. Und ich
unterstütze sie dabei so gut es geht, wobei ich oft mit Tränen neben ihr gelaufen bin. So eine Freundschaft verbindet und schweißt zusammen.
Der Zieleinlauf bei der Ironman-Distanz in Köln 2009 war Emotion pur. Aller Druck und die Last fiel von meinen Schultern, dass Nicole sich ihren Traum vom Ironman erfüllen konnte. Und ich an
ihrer Seite diesen Moment für die Ewigkeit miterleben durfte!
In diesem Sinne: Keep on Running
Udo Förster
(Februar 2010)